Ein Interview von Guinevere Murphy
Im letzten Dezember war es schließlich soweit. Das britische Ministerium hat ehemaligen Aktivist*innen und Sympathisant*innen der Awakening-Bewegung einen Weg aus dem langjährigen russischen Asyl in Aussicht gestellt. Die erste Nutznießerin dieses neuen Gesetzes – und zwar schon im Dezember 1986: Keine geringere als die ehemalige britische Top-Wissenschaftlerin Eleanor Lawrence. Die wenige Tage später so passend dazu für ihr neues Modell der Magietheorie mit dem M.Abel-Preis ausgezeichnet wurde.
Ihr Ansatz ist ein Ausrufezeichen an das wissenschaftliche Establishment. Denn es divergiert – vor allem vom bisher unantastbaren Slink-Modell. Das Modell, für das kein Geringerer als der berühmte Prof. Mortimer Slinkhardt einst mit dem M.Abel-Preis ausgezeichnet wurde. Seither wartet die Welt auf eine Stellungnahme von ihm.
Der Leiterin unseres Ressorts für Magische Wissenschaft, Guinevere Murphy, gelang es nun, Mortimer Slinkhardt zwischen Autogrammstunden, Fototerminen und Lesungen in seinem Wohnzimmer zu interviewen.
Neben einer kleinen, aber feinen Auswahl einschlägiger Fachliteratur stehen in seinem Bücherregal Seite an Seite die Bände der beliebten “Slinkhardt als…”-Reihe. Die Wände zieren diverse Portraits von ihm in verschiedenen Situationen, bei der Jagd, beim Pferderennen, im Duell, bei einer Lesung, beim Unterrichten. Leider keines, das ihn bei seiner Forschung zeigt.
Daily Observer: Herr Slinkhardt…
Professor Slinkhardt: Professor Slinkhardt.
Daily Observer: Professor Slinkhardt. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview freischaufeln konnten. Sie sind aktuell ja viel beschäftigt und hochgefragt. Woran genau arbeiten Sie zur Zeit?
Professor Slinkhardt: Nun, wie Sie sicherlich wissen, bin ich ja an der Broughton Academy angestellt, einer Elite-Ausbildungsstätte für junge Analyst*innen. Dort bin ich gemeinsam mit der Assistenzprofessur von Prof. Emma Battenberg Tutor federführend in der Ausbildung einer neuen Generation von Kämpfern gegen das Böse. Wer wäre dafür besser geeignet als ich [lacht]? Abgesehen davon werden noch dieses Jahr zwei bis drei weitere Bände der “Slinkhardt als…”-Reihe erscheinen. Naja, und gerade vor Kurzem habe ich ja einen wissenschaftlichen Artikel veröffentlicht, der sicherlich bald auch peer-reviewt ist – vorausgesetzt die Peers sind intelligent genug, ihn zu verstehen.
Ja, Ihre neueste Publikation “Die Slinkhardtsche Slinkbewegung – Bewegte Magie” ist ja im April erschienen. Bisher waren die Reaktionen eher verhalten. Womit genau beschäftigt sich der Artikel?
Magische Partikel, die sogenannten Slinks – übrigens benannt nach einem berühmten Wissenschaftler [lacht] – befinden sich überall und bilden durch die Höhe ihrer Konzentration in der jeweiligen Umgebung die sogenannte Magische Dichte. Diese kann sowohl in der Umgebung, also in der Luft gemessen werden, aber auch an Magischen Artefakten, Magischen Kreaturen und Personen. Bei Letzteren ist die Besonderheit, dass die Magische Dichte im Laufe des Lebens bis auf kleinste Schwankungen, die auf Zauberungenauigkeiten beruhen (Messfehler gibt es mit dem Magiebarometer nach Slinkhardt natürlich nicht) konstant bleibt, während die Magiedichte von Artefakten in der Regel abnimmt. Die Magische Dichte von Orten hingegen ist sehr variabel, wie ich im letzten Jahr auch im Essay “Die Variabilität der Magischen Dichte”, Korrektur gelesen von Emma Battenberg, veröffentlicht habe.
Mit der Slinkhardtschen Slink-Bewegung untersuche ich nun die Magische Dichte in der Luft und wie diese sich verbreitet unter der selbstverständlich richtigen Annahme, dass sich Slinks sowohl in Gasen als auch Flüssigkeiten bewegen können.
Ist das nicht im Wesentlichen der Stand Ihrer Forschung seit 1972 – außer dass Sie der Bewegung der Slinks nun auch einen Namen gegeben haben?
Natürlich ist das der Stand seit 1972 – weil es eben richtig ist. In der Wissenschaft geht es nun mal exakt zu, und wenn Sie einen Beweis haben, wenn etwas richtig ist – dann können Sie ja nichts finden, was richtiger ist. Meine Forschung wird deshalb auch noch 2020 Bestand haben – sie ist bekannterweise unwiderlegbar.
Einem russischen Team von Wissenschaftler*innen unter der Leitung der Britin Eleanor Lawrence wurde im letzten Jahr der M.Abel-Preis für eine Theorie verliehen, die ihrem Modell zu widersprechen scheint. Können Sie kurz erklären, worum es in der Gegenthese geht?
Das russische Team glaubt eine zweite Art von Magie gefunden zu haben, die neben der eigentlichen Magie zu koexistieren scheint und ebenfalls im Sinne der eigentlichen Magie nutzbar gemacht werden kann. Besonders interessant aufgrund der russischen Angst vor dem “Aufbrauchen der Magie”. Diese Magie zeichnet sich dadurch aus, dass sie im Wesentlichen die gleichen Eigenschaften der Magie hat, dabei aber laut der Russinnen und Russen eine andere Polung bzw. Ladung und deshalb nicht ganz gleich reagiert. Und im Übrigen auch nicht komplett gleich verwendet wird, wenn man den Thesen Glauben schenkt – nicht jede Person scheint diese Magie verarbeiten zu können.
Inwiefern widerspricht das Ihren Thesen?
Es fängt damit an, dass sie von einer zweiten Magie, “Antimagie”, sprechen, die neben der eigentlichen, übrigens zweifelsfrei nachgewiesenen, Magie koexistiert. Ich war der erste, der die Magische Dichte überhaupt nachweisen und dabei deren Existenz beweisen konnte. Eine wichtige Eigenschaft der Magischen Dichte ist ihre Omnipräsenz. Alles hat eine Magische Dichte. Die Umgebung, die Lebewesen, die Gegenstände, alles. Egal was Sie in die Finger bekommen und vermessen, Sie bekommen ein Ergebnis auf dem Magiebarometer. Die Höhe ist dabei natürlich sehr variabel, Ihr nichtmagisches Pergament hat natürlich eine andere Magische Dichte als Ihr Zauberstab, nur so als Beispiel. Und nun kommen russische Forscher und behaupten, dass es noch eine zweite Art von Magie gibt. Ganz ehrlich, wo soll für die denn noch Platz sein? Wenn ja bereits alles in einer gewissen Höhe magisch ist?
Wichtig bei der Universalität der Magie ist dabei ja auch, dass sie eben generell verwendet und verwertet werden kann, unabhängig davon, wer man ist. Die Magische Dichte kann von nichtmenschlichen Magischen Geschöpfen genauso verwendet werden wie von allen Magier*innen, weshalb meine Forschung im Übrigen auch eine große Rolle bei der Gleichstellung von Magier*innen aus reinmagischen Familien und denen nicht-magischer Herkunft spielt. Wenn diese Magie unterschiedlich verwertbar sei, würde sie wieder Unterschiede machen, wo erwiesenermaßen keine sind.
Ich halte das natürlich für völligen Quatsch. Ich habe den M.Abel-Preis gewonnen, weil ich der Erste war, der die Existenz der Magischen Dichte überhaupt nachweisen konnte. Ich bin die Koryphäe auf dem Gebiet. Und nun soll es zwei Magien geben? Was für ein Hokuspokus [lacht]! Es gibt eine Magie, die mit dem Magiebarometer nach Slinkhardt zweifelsfrei nachmessbar und damit definitiv existent ist. Meine Ergebnisse sind jederzeit und unter jeglicher Bedingung reproduzierbar, können also nicht einfach nur durch Zufall entstanden sein. Und das Magiebarometer misst nun mal nur eine Magie. Wenn es eine zweite Magie geben würde, hätte ich das ja wohl in meiner Forschung bemerkt. Sie sehen also, völliger Mumpitz.
Wie kann es sein, dass dieser “Mumpitz” einen so wichtigen Preis wie den M.Abel-Preis gewinnen konnte? Schließlich ist das die Auszeichnung für die Magietheoretische Forschung?
Der M.Abel-Preis ist auch nicht mehr das, was er mal war. Sie sehen ja, dass ab 1973 die Qualität der ausgezeichneten Publikationen konsequent und rapide abgenommen hat, während echte, wichtige Forschung immer wieder abgewiesen wurde. Pah, 1985 hat sich eine Arbeit mit Poltergeistern beschäftigt! Poltergeister! Wenn Sie mich fragen ist der M.Abel-Preis reine Taktik- und Lobbyarbeit – die Auszeichnung vom russischen Team bestätigt das nur. Wahrscheinlich hat da der britische Staat die Finger im Spiel. Durch die Auszeichnung von Miss Lawrence konnte sie natürlich wesentlich leichter aus Russland zurückgeholt werden und wieder nach Magic Britain eingegliedert, mitsamt ihrer Forschung. Und alles nur, damit Russland nicht von ihr profitieren kann, sondern ihre “Fähigkeiten” Großbritannien voranbringen können. Das hat nicht mehr viel mit einer Auszeichnung für wissenschaftliche Arbeit zu tun. Und zuletzt dürfen Sie natürlich nicht vergessen, wer in der Jury für den Preis sitzt. Alina Ivarsson (Preisträgerin von 1974, Anmerkung der Redaktion), Layali Jawahir Sayegh (Preisträgerin 1970, A.d.R), Karolin Gottschalk (Preisträgerin 1978, A.d.R), Coralie Coupart (Preisträgerin 1981, A.d.R) und Jordan Rhodes (Preisträger 1969, A.d.R) – alles erklärte Erzfeinde von mir, schon immer neidisch auf meine Fähigkeiten und Bekanntheit. Sie haben sicherlich überlegt, bei welcher Publikation mich die Auszeichnung am meisten treffen würde, und haben sich für Miss Lawrence entschieden.
Es scheint ja eine durchaus private Fehde zwischen Ihnen und Miss Lawrence zu geben. Was halten Sie denn von ihr persönlich?
Sie ist ehrgeizig, arrogant, überheblich und machtbesessen. Für ihre Forschung geht sie eiskalt über Leichen, testet halbgare Hypothesen und wirft somit ein schlechtes Licht auf alle Wissenschaftler. Sie ist ja auch nicht ohne Grund überhaupt nach Russland geflohen, schließlich erinnert sich jeder an das Massaker von Harrington Hall (1980) und ihre Beteiligung daran. Meiner Meinung nach ist das aber typisch für jemanden von mittlerer Intelligenz, immerhin, und ohne akademische Herkunft. Über ihre Familie ist nicht viel bekannt, das können also keine hochkarätigen Wissenschaftler*innen sein, die ihre Begabung weitergegeben haben. Nicht dass man nicht auch aus anderen Verhältnissen stammen und sehr begabt sein kann – aber Miss Lawrence ist es nicht. Um in der oberen Liga von Wissenschaftler*innen mitzuspielen, macht sie mangelnde Intelligenz mit überproportionalem Ehrgeiz wett. Damit ist sie sogar eine Gefahr für alle Beteiligten. Niemand weiß, wann sie das nächste Mal eine Katastrophe wie das Massaker auslöst, um haltlose Hypothesen zu beweisen. Im Nachhinein bin ich sehr froh, dass sie mein gönnerhaftes Angebot 1974 ausgeschlagen hat, meine persönliche Assistenz zu werden.
Wie ordnen Sie die Rückkehr von Miss Lawrence denn politisch ein?
Wie Sie schon sagten, profitiert Miss Lawrence von der Amnestie für Rückkehrende aus dem Russlandexil. Nun, mittlerweile frage ich mich, ob diese Amnestie eigens für Menschen wie sie erschaffen wurden. Meiner Meinung nach ist es eine ziemlich fragwürdige Praktik, womöglich Hunderte oder Tausende von Radikalen wieder ins Land zu lassen, nur um ein paar Wissenschaftler zurückzuholen, die seit den frühen 1970er Jahren nichts Nennenswertes mehr publiziert haben, deren Forschung nahezu bedeutungslos ist und die sich nur noch im Licht der Vergangenheit sonnen! Ein absoluter Rückschlag in Sachen “Null Toleranz” vom Ministerium!
Was ist Ihrer Meinung nach das Erfolgsgeheimnis der russischen Wissenschaft?
Erfolgsgeheimnis? Die russische Wissenschaft steckt im Vergleich zur britischen in Kinderschuhen. Bis 1980 gab es kaum nennenswerte Ergebnisse oder Publikationen aus Russland, schon gar nicht international anerkannt. Mit den Britinnen und Briten, die ins Exil geflohen sind, hat die Wissenschaft natürlich einen Sprung gemacht, da natürlich Wissen weitergegeben wurde, vermutlich im Austausch gegen den sicheren Aufenthalt. Und natürlich fließen in einem politischen System wie Russland ganz andere Gelder in wissenschaftliche Projekte, die vielversprechend sind. Das sind Summen, die Sie sich hierzulande gar nicht vorstellen können – vor allem nicht von staatlicher Seite. Meiner Meinung nach ist die russische Wissenschaft eine Blase, die mit dem Weggang der britischen Forscher*innen in sich zusammenfällt. Und natürlich durch den tragischen Tod von Alexej Kolesnikow im letzten Frühjahr – einer der wenigen bekannten und wirklich bedeutenden russischen Wissenschaftler. Aber letztendlich werden von russischer Seite nicht viele Neuerkenntnisse zu erwarten sein, schließlich wird dort immer noch der allgemeine Irrglaube vertreten, dass Magie endlich sei und rationiert werden müsse. Trotz des Anstiegs in der Magischen Dichte in den letzten Jahren.
Sie haben den Alexej Kolesnikow erwähnt, der russische Forscher starb ja bei einem Störfall im russischen Pribyat im Frühjahr 1986 – angeblich ein Unfall mit nicht-magischer Technik. Gerüchte besagen schon länger, dass der wahre Hintergrund des Unfalls im Zusammenhang mit dem Anstieg der Magiedichte in weiten Teilen Europas stehen könnte. Wie bewerten Sie die Ereignisse?
Ich weiß nur wenig über Pribyat und alles, was dort passiert ist. Mit meiner Prominenz ist es quasi unmöglich, den Eisernen Vorhang zu passieren, ohne Gefahr zu laufen, als britischer Spion getötet oder gefangen genommen zu werden. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich aber sagen, dass Miss Lawrence wieder wild herumexperimentiert hat. Die Magiedichte steigt allerdings schon seit 1984 an, ausgehend vom Steinkreis in Harrington Hall. Die genauen Werte finden Sie in meinem 1986 veröffentlichten Essay “Die Variabilität der Magischen Dichte” und ebenfalls in der aktuellsten Publikation “Die Slinkhardtsche Slinkbewegung – Bewegte Magie”, dort sind dann auch die neusten Werte des vergangenen Jahres. Es ist also kein russisches Phänomen, dass die Magiedichte immer wieder sprunghaft ansteigt. Durch die beschriebene Slinkhardtsche Slinkbewegung ist es nur logisch und war eine Frage der Zeit, bis die Ausläufer auch in Russland zu spüren sind. Da braucht es keinen Magischen Unfall in Pribyat – auch wenn ich natürlich nicht ausschließen möchte, dass mehr hinter dem “Unfall” steckt.
Sie haben ja eben schon die staatliche Finanzierung der Wissenschaft in Russland angesprochen. Durch was wird Ihre Forschung denn finanziert?
Ausschließlich durch private Gelder verschiedener Privatpersonen und Stiftungen. Das betrifft alle Forscher*innen an der Broughton Academy. Glauben Sie mir, hochkarätige Wissenschaftler*innen wie meine Kolleg*innen könnte sich das Ministerium nicht leisten – schon gar nicht so ein Ausnahmegenie wie mich (lacht).
Wie viele Wissenschaftler*innen sind denn zur Zeit an der Broughton Academy beschäftigt?
Hauptsächlich natürlich ich und Miss Emma Battenberg. Darüber hinaus Miss Sinéad O’Sullivan, die ja eher aus der Kriminalistik stammt und neuerdings ein Magietheoretiker. Oh, und natürlich dieser Psychologe, der irgendeine Studie durchführt – sofern man die Psychologie als Wissenschaft sehen will.
Sie scheinen also gut aufgestellt zu sein. Ist das der allgemeine Stand in der britischen Wissenschaft? Braucht es da wirklich noch eine Miss Lawrence?
Wie schon gesagt, Ausnahmewissenschaftler*innen wie ich sind rar gesät. Natürlich gibt es selbst bei der besten Aufstellung immer noch Verbesserungspotential. Die wenigsten sind auf unersetzbare Art und Weise genial. Aber nein, eine Miss Lawrence braucht es wirklich nicht. Sie wird die britische Forschung nicht voranbringen, und mit ein wenig Glück auch keinen Rückschlag für sie darstellen. Wenn Sie mich fragen, hätte sie ruhig in Russland bleiben können. Abgesehen davon kann ich mir kaum vorstellen, dass britische Forscher*innen, die etwas auf sich halten, mit Miss Lawrence zusammenarbeiten wollen. Ihre Methoden sind ja wie bereits erwähnt umstritten und ihre Hypothesen eher Hirngespinste und Verschwörungstheorien. Ich jedenfalls schließe eine Zusammenarbeit mit ihr kategorisch aus.
Vielen Dank, Professor, das war ein durchaus informatives Interview. Woran arbeiten Sie denn aktuell?
Wie Sie wissen, bin ich ein viel beschäftigter Mann. Ich stecke sehr viel Herzblut in die Ausbildung von angehenden Analysten an der Broughton Academy. Außerdem werden dieses Jahr noch mindestens zwei Bücher von mir erscheinen, nämlich „Slinkhardt als Verteidiger der Nation“ und… oh den Namen darf ich noch gar nicht verraten. Aber so viel verrate ich Ihnen, es geht um eine verrückte Wissenschaftlerin als Antagonistin!
Professor Slinkhardt, wir danken Ihnen für das Interview.