“Wer inbrünstig hasst, muss einmal sehr geliebt haben. Wer so die Welt verneinen will, muss sie einmal sehr stark bejaht haben. Muss einmal umarmt haben, was er nun verbrennt.” – Kurt Tucholsky
Das Lieblingszitat der Ausnahme-Wissenschaftlerin Eleanor Lawrence, Preisträgerin des M.Abel-Preises des Jahres 1986 und Nominierte des Jahres 1988 – die Preisverleihung ist traditionell am 15.12. – prangt in großen Lettern in ihrem Büro. Hat man sie in den vergangenen Jahren darauf angesprochen, hat sie meist nur mit einem geheimnisvollen Lächeln abgewinkt. Doch heute scheint alles anders zu sein.
Miss Lawrence – seit ihrer Rückkehr aus dem russischen Exil vor zwei Jahren stelle ich Ihnen bei jedem unserer Interviews die gleiche Frage. Warum dieses Zitat?
Und jedes Mal gebe ich die gleiche Antwort, richtig?
“Wenn ich Ihnen das sage, müsste ich Sie töten” – angesichts Ihrer Vorgeschichte durchaus etwas beängstigend, finden Sie nicht?
Nun ja, dann beantworte ich es Ihnen diesmal – Das Zitat ist die Basis meiner für den M.Abel-Preis nominierten Arbeit “The Magic of Schrödinger’s Cat.” Wenn sich etwas gegenseitig verbrennt, muss es sich einmal sehr geliebt haben, eins gewesen sein.
Sie sprechen in Rätseln.
Tue ich das? (lacht) Eigentlich ist die Antwort ganz einfach, oder meine Antwort – starke Dualität ist eine Illusion, letztlich entspringt beides der gleichen Quelle. In meinem Fall würde das heißen, Antimagie und Magie sind eigentlich nur zwei Ausprägungen der gleichen Sache, zwei Enden der gleichen Skala, zwei Seiten der gleichen Münze – wie auch immer Sie es nennen wollen.
Sie haben sehr viel Zeit damit verbracht, Ihre Meinung über die Existenz der Antimagie zu verteidigen – Warum diese Kehrtwende?
Wo sehen Sie hier eine Kehrtwende? Um festzustellen, dass Antimagie und Magie zwei Extreme sind, muss zuerst bewiesen oder ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass beide völlig valide Modelle sind. Übrigens habe ich auch nie behauptet, dass die Antimagie die einzige Form der Magie sei – diese Art von fast schon satirischem Starrsinn überlasse ich anderen.
Was bedeutet “The Magic of Schrödinger’s Cat” als Titel?
Bei Schrödinger’s Katze handelt es sich um ein Gedankenexperiment aus der First World, beschrieben vom Physiker Erwin Schrödinger. Im Wesentlichen ist die Grundidee, dass wenn ein System zwei verschiedene Zustände einnehmen kann, auch die kohärente Überlagerung im Sinne der Superposition einen möglichen Zustand darstellen kann.
Vereinfacht wurde dieses Gedankenexperiment mit einer Katze – auf sehr grausame Art und Weise, gebe ich zu. Eine Katze wird in eine Box mit Gift gesperrt, das Gift wird allerdings erst nach einer bestimmten Zeitspanne mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit freigesetzt. Die Katze kann also in jedem Augenblick sterben, aber der Außenstehende weiß nicht, wann. Wenn ich die Katze in der Box also sich selbst überlasse, ist sie bis ich nachschaue entweder tot oder sie ist lebendig. Im Sinne der Überlagerung ist sie somit tot und lebendig zugleich – solange niemand die Box öffnet. Wenn wir diese Überlegung nun auf Gegenstände übertragen – den einzigen gesicherten Nachweis der Existenz von Antimagie – heißt das, dass für den endgültigen Beweis der Gegenstand zerstört werden muss.
Was bedeutet das nun für Ihre Forschung?
Dass man, bevor man es nicht sicher sagen kann, alles erstmal als antimagisch und magisch zugleich gelten muss. Erst wenn man die Box öffnet, kann man sicher sagen, was antimagisch ist und was magisch ist. Im Falle der Katze kein Problem, schließlich kann man ja einfach nachschauen. Wenn die Katze noch lebt, richtet das keinen Schaden an, wenn sie nicht mehr lebt, sowieso nicht. Was wäre nun aber, wenn die einzige Möglichkeit, den Deckel zu öffnen, darin resultieren würde, dass die Katze stirbt, falls sie noch lebt? Was, wenn die einzige Methode zu prüfen, ob etwas sicher nicht antimagisch oder nicht magisch ist, bedeutet, dass es im Fall des Irrtums zerstört wird?
Laut Ihrer Forschung aus dem Jahr 1986 steigert sich die Magische Dichte antimagische Gegenstände, während die magischer Gegenstände sinkt.
Richtig, das ist eine der Thesen zur Überprüfung. Letztlich können wir aber nicht sagen dass es sich um eine Äquivalenzrelation handelt, also ob alle antimagischen Gegenstände eine steigende Magiedichte aufweisen.
Zurück zu Ihrem Lieblingszitat – Inwiefern würden Sie sagen, dass die Dualität der Magie damit nur eine Illusion sei?
Da muss ich ein wenig ausholen. Angenommen, es gibt eine Überlagerung der beiden Zustände antimagisch und magisch – wie könnte ein solcher Zustand aussehen?
Wir nehmen nach wie vor an, dass Antimagie und Magie die gleiche Magie sind, allerdings mit unterschiedlicher Polung. Sagen wir mal der Einfachheit halber mit verschiedenem Vorzeichen. Wenn ein Antimagier eine Magische Dichte von -90 Slink ausweist und ein Magier eine Magische Dichte von 90 Slink, erreichen sie auf minderwertigen Messgeräten in beiden Fällen eine Magische Dichte von 90 Slink. Nehmen wir mal die 90 als Wert – dieser kann zustande kommen, weil jemand zu genau 90 Slink magisch ist. Oder aber, jemand ist zu 180 Slink magisch und zu 90 Slink antimagisch. Zu 10 Slink antimagisch, zu 100 magisch. Kurz gesagt – jeder Zustand kann ein Zwischenzustand, eine Überlagerung sein. Niemand kennt die Enden der beiden Skalen, niemand kennt den maximal möglichen Wert, nur die bisher maximal erreichten Werte. Kurz gesagt – Momentan werden immer nur die Ergebniswerte gemessen, niemals die Zusammensetzung. Zumindest dem allgemeinen Verständnis nach, so richtig klar ist es ja nicht ob man Magie wirklich messen kann. Ich würde behaupten, niemand weiß so genau, was das Slink-Ding misst, wahrscheinlich nicht mal Slinkhardt selbst.
Egal, kann man denn so sagen, dass wirklich nur einer der beiden Zustände auftritt? Gibt es wirklich keine Überlagerung? Kann ich mir so sicher sein, dass ich bereit bin, das Risiko einzugehen, dass es vielleicht doch eine Überlagerung gibt?
Das heißt… etwas mit einer Magischen Dichte von 0 Slink…
Könnte entweder zu 0 Slink magisch und zu 0 Slink antimagisch sein. Oder aber zu 200 Slink magisch und 200 Slink antimagisch. Rein hypothetisch – was würde passieren, wenn man auf diesen Gegenstand einen Zerstörungszauber zaubert, der erst bei 150 antimagischen Slink wirkt? Ich kenne fähige Magietheoretiker, die sicher in der Lage wären, so etwas zu konstruieren. Würde dieser Gegenstand zerstört oder würden die 200 magischen Slink ihn retten? Und wenn Sie nicht ganz sicher sind, würden Sie das Risiko dann eingehen?
Sie sprechen nun die ganze Zeit von der Magischen Dichte von Gegenständen… Wie ist es denn mit Menschen? Kann es dort auch Antimagier*innen geben?
Das kann ich Ihnen momentan nicht beantworten, und fürchte, um das zu beantworten, wären im Stil meiner Interpretation von Schrödingers Katze Experimente notwendig, die das Leben von Menschen gefährden… Und das wäre ethisch nicht vertretbar, finden Sie nicht?
Zurück zu Ihrem Zitat…
Ohja, richtig – das Zitat fügt noch einen letzte Ebene der Unsicherheit hinzu: Momentan gehen wir davon aus, dass etwas antimagisch ist und für immer antimagisch bleibt. Dass etwas magisch ist, und für immer magisch bleibt. Was aber, wenn sich das ändern kann? Variabel ist? Ein Wissenschaftler, der übrigens mehr Bestsellerromane geschrieben als M.Abel-Preise gewonnen hat, hat bereits gezeigt, dass die Magiedichte von Orten variabel ist. Aber ist dabei wirklich der Magiewert gestiegen? Oder ist der Antimagiewert gesunken? Oder umgekehrt, in Anbetracht dessen, dass die Messung keine Polung kannte?
Und gerade wenn man die These vertritt, dass Magie alles sein kann – wieso sollte sie dann nicht auch antimagisch und magisch zugleich sein können?
Ich habe das Gefühl, dass Ihre Arbeit mehr Fragen als Antworten aufwirft…
Ohja (lacht). Aber das ist nun mal Forschung. Wenn ich irgendwann mal an den Punkt komme, dass meine Forschung keine weiteren Fragen für mich aufwirft… Naja, dann schreibe ich vielleicht auch Bestsellerromane.
by Guinevere Murphy