Übertriebene Gewalt. Traumatisierte Kinder. Ir*innen unter Generalverdacht.
Es sind schwere Vorwürfe, die im Raum stehen. Gegen die Behörden, gegen die Sondereinheit “Mystic Terror”. Ankläger: die Rufus-Welling-Stiftung. Eine progressive, pro-irische Organisation, die sich für Exceptioner einsetzt, also Menschen, die keine magische Tradition mitbringen oder ihre Wurzeln außerhalb der magischen Welt haben. Die Stiftung hat sich bereits mehrfach positiv zu Mystikbelangen geäußert und bewegt sich mit ihrer Arbeit an und über die Weltengrenzen hinaus immer am Rande der Legalität. Zuletzt fielen ihre Vertreter*innen während der Pressekonferenz zu den Ermittlungen rund um die Vorfälle während der Electoral Speech im Dezember 1986 auf (Daily Observer berichtete).
Nun hat Stiftungsmitglied Brennan Murphy einen Bericht vorgelegt, der “Gräueltaten” der Regierung im Zuge der Mystikerverhaftungen belegen soll. Er enthält massive Kritik an der Sondereinheit “Mystic Terror”, besonders an der Art und Weise der Verhaftungen, die von grober Gewalt geprägt worden seien. Er erzählt von Verletzungen bis hin zu Knochenbrüchen und offenen Platzwunden. Von Sonderkommandos, die Familienhäuser stürmten. Eltern, die vor den Augen ihrer Kinder im Nachthemd aus dem Bett gezerrt und abgeführt würden.
Schwerwiegende Vorwürfe – doch was ist wirklich dran?
Ausgangspunkt war eine kleine Anfrage der Freedom Front, die der Stiftung angeblich nahesteht: Wie viele Verhaftungen wurden vorgenommen? Wie viele der Verdächtigen sind angeklagt worden und werden noch angeklagt werden?
Konkrete Zahlen dürfen außerhalb des Parlaments nicht kommuniziert werden, solange das Parlament seine Zustimmung nicht gibt – was in diesem Fall nicht geschehen ist. Das Volk hat lediglich Anrecht auf eine Zusammenfassung in Textform. Ohne Zahlen, aber mit Schlussfolgerungen basierend auf diesen Zahlen. Oft nichts Halbes und nichts Ganzes. Doch in diesem Fall war der Inhalt Grund genug für die Stiftung, selbst aktiv zu werden.
Der Bericht nimmt zunächst Bezug auf die kleine Anfrage. Die Zahl der Verhafteten ist überdurchschnittlich hoch. Spitzenreiter ist wenig überraschend Irland, gefolgt von England. Wales und Schottland sind weit abgeschlagen. Die meisten Verhaftungen erfolgten direkt zu Beginn der Aktion in der Nacht zum Wahltag. Im Vorfeld des St. Patrick’s Day ist eine erneute Häufung zu bezeichnen – präventiv scheinbar, am Feiertag selbst kam es dann auch nur zu einigen kleineren Ausschreitungen. Wirksame Abschreckung oder übertriebene Maßnahme? Die Rufus-Welling-Stiftung behauptet: Letzteres. Und begründet es mit dem Profil der Verhafteten.
Verhaftet wurden Menschen jeden Alters und Geschlechts, fast alle ohne Vorstrafen. Oft lebten sie in prekären Lebensverhältnissen oder gingen bodenständigen Berufen nach. Tischler*innen, Lagerist*innen, Florist*innen, Handlanger*innen – es falle schwer zu glauben, dass Menschen mit diesem Hintergrund zu komplexem magischen Terrorismus fähig sein sollen, so der Bericht.
Leider zeigt sich hier auch die Schwäche des Berichts: Er stützt sich auf Aussagen aus zweiter Hand. Nachbar*innen oder Kinder, die die Verhaftung der Eltern miterleben mussten. Denn die Verhafteten selbst sind für die Stiftung nicht erreichbar, sie dürfen zu diesem Zeitpunkt nicht einmal juristischen Beistand haben. Wie viel Wert kann man diesem Bericht also beimessen, der sich zu einem großen Teil auf Hörensagen stützt?
Unbestreitbar ist, dass die Verhaftungen oft ganze Familien betreffen. Prominentestes Beispiel: der irisch-mystische Akrutat-Clan, der auch für die Vorfälle während der Electoral Speech verantwortlich gemacht wird (Daily Observer berichtete). Und angeblich wurde erst diese Woche die gesamte Familie eines bekannten Rugby-Stars verhaftet. Die Gerüchte überschlagen sich, seitdem ein Verbandsmitglied entsprechendes hat verlauten lassen. Nur um sofort wieder zurückzurudern. Aber da war es schon zu spät, die Nachricht war in der Welt. Um wen es sich handelt? Völlig unklar. Mal um einen Spieler des Aufsteigers Letterkenny Casuals im Rahmen des kürzlich entrollten Protestbanners, mal um die gesamte Mannschaft von Kerry Celtic, weil bei einem Spiel mal die mystische Zahlenkombination “12+3+1” gezeigt wurde. Angeblich hängen die Verhaftungen sogar mit dem immer noch nicht aufgeklärten Schiedsrichterskandal zusammen, der 1986 zu einem Neustart der Liga geführt hatte.
Mystischer Terror gegen Harrington Rugby? Das klingt in der Tat etwas absurd. Wird der Begriff Terror hier vielleicht doch etwas zu leichtfertig verwendet? Dient er gar als Rechtfertigung für das Vorgehen der Sondereinheit und der Staatsanwaltschaft, wie es Murphy in seinem Bericht behauptet?
Albert Cavanagh, der als Richter in den Prozess involviert ist, weist diese Kritik weit von sich. Am liebsten möchte er dem “hanebüchenen” Inhalt gar keine Aufmerksamkeit schenken. Hörensagen sei das, nichts weiter. Er ist selbst Ire und Loyalist, steht also treu zum magischen Großbritannien und dem Magiekanon. Als Richter ist er bekannt für sein konsequentes Vorgehen gegen die Mystikerbewegung. Und lässt sich schließlich doch zu einer Stellungnahme hinreißen: “Wir haben es hier mit einer verschworenen, klandestinen Szene zu tun”, so Cavanagh. “Es besteht akute Verdunklungsgefahr. Das zeigt sich nicht zuletzt an der Menge der Mystiker*innen, die nach den ersten Verhaftungen in den Untergrund gegangen sind und sich bis heute dort befinden.”
Die Rufus-Welling-Stiftung will einige dieser untergetauchten Menschen kontaktiert haben. Im Untergrund leben sie angeblich in prekären Verhältnissen. Ohne Bildung für die Kinder, ohne Geld und oft ohne Essen. Dazu die ständige Angst, jederzeit verhaftet werden zu können. Ohne dass klar sei, für welches konkrete Vergehen. “Wir sprechen hier von mystischem Terror”, antwortet Cavanagh auf diesen Vorwurf. “Von der gezielten Destabilisierung unserer Gesellschaft durch die Verwendung von unkonventioneller Magie. Natürlich handeln wir hier auch präventiv – aber eben nicht nur.” Er verweist erneut auf den entsprechenden Rechtsparagraphen, der in Kraft tritt, wenn unmittelbare Gefahr für Weltentrennung und die Ordnung der souveränen Magischen Gesellschaft besteht. Dieser Paragraph gibt den Ermittler*innen und der Staatsanwaltschaft weitreichende Befugnisse und erlaubt unter anderem verlängerte Untersuchungshaft. Terror legitimiere den Einsatz dieses Notfallparagrafen.
Darüber hinaus stelle es einen vor ganz neue Herausforderungen, eine Gruppe von Menschen zu verhaften, die Rechtsstaat und Gesetz nicht anerkennen. Ein Großteil der Verhafteten besitzt keine gültigen Papiere. Das verkompliziere das Haftaufnahmeverfahren enorm. Und zu guter Letzt sei die Aktion eben “noch lange nicht abgeschlossen”. Solange sich Menschen im Untergrund befänden, sei die Gefahr noch nicht vorbei. Die Mystiker*innenszene müsse großflächig und nachhaltig eingedämmt werden.
Und daran arbeiten die Autoritäten unbestreitbar. Das Sonderkommando führt nach wie vor intensive Befragungen der Zivilbevölkerung durch. Immer noch laufen groß angelegte Suchaktionen. Kontrollen sind an der Tagesordnung, vor allem in Irland, aber auch im gesamten magischen Großbritannien. Das berichtet auch die Rufus-Welling-Stiftung. Sie hält das für einen Skandal. Man stehe als Ir*in derzeit unter Generalverdacht. Egal ob beim Einkauf oder im eigenen Zuhause. Im Bericht ist die Rede von willkürlichen Vorladungen, wöchentlichen Besuchen der Sondereinheit und ständigen Befragungen mit dem immer gleichen Inhalt.
Damit schließt der Bericht: Es könne nicht sein, dass man als verdächtig gilt, nur weil man einen irischen Namen oder rote Haare und Sommersprossen hat.
Diesen Vorwurf weist Albert Cavanagh weit von sich. “Wer sich als Ir*in nicht mit Mystik beschäftigt, der hat auch nichts zu befürchten”, bekräftigt er. “Da bin ich selbst das beste Beispiel.”