Irisch-mystischer Terror soll Schuld an der bizarren Rede von Premier Bail vergangenen Dezember sein. Das gab die Sonderermittlungsgruppe “Mystic Terror” heute Morgen in einer Pressekonferenz bekannt.
Zwar stehen noch einige Befragungen aus, aber die Ermittler hoffen, den Bericht zeitnah vorlegen zu können. Sicher sei bislang nur: Es handle sich definitiv nicht um eine Prophezeiung. Das haben die bisherigen Ermittlungen unter Zuhilfenahme mehrerer Sachverständiger ergeben. Stattdessen soll ein aggressiver Zauber im Spiel gewesen sein. Ausgesprochen von einer Gruppe irisch-mystischer Terrorist*innen.
Parteimitglieder der “Spiritual League of Witches and Wizards” (For All-Embracive Fortune And Happiness) hatten eine öffentliche Darstellung des aktuellen Ermittlungsstands juristisch eingeklagt, nachdem auch drei Monate nach den Vorfällen im Dezember 1986 noch immer keine Ergebnisse der Untersuchungen vorlagen.
“Die Öffentlichkeit bestehe auf ihr Recht, die Wahrheit zu erfahren”, so Spiritual League Sprecher Lucas M. Ford. Es könne nicht im Interesse Magic Britains sein, seine Bevölkerung ganz allein all den Unsicherheiten zu überlassen, die eine so medienwirksam inszenierte Weltuntergangsprophezeiung nun mal mit sich bringe.
Aber langsam. Wagen wir erst einen kurzen Blick zurück in den Dezember ‘86 – was war geschehen? Wir erinnern uns sicher alle – denn es war eines dieser Ereignisse, bei denen wir uns einfach merken, wie und wo wir sie erlebt haben.
Schnelle Reaktion verhinderte Schlimmeres
Wahltag in Magic Britain. Imogen Bail war erst wenige Minuten auf Sendung. Sie sprach landesweit im Radio ihre obligatorische “Electoral Speech”. Gesendet wurde live aus Harrington Hall, Sitz der altehrwürdigen Broughton Academy. Angeblich einer der sichersten, magischsten und politisch aufgeladensten Orte Magic Britains. Seit geraumer Zeit schon Ausbildungsstätte unserer Kanonischen Wächter. Von denen übrigens so einige im Publikum saßen, als Bail eigentlich über ihre Wiederwahl und ihre bemerkenswerten Entscheidungen der vorangegangenen 24 Stunden sprechen wollte. Doch dazu sollte es nie kommen.
Nach wenigen Sätzen änderte sich der Inhalt von Bails Rede dramatisch. Die Ministerin sprach plötzlich von einem apokalyptischen Szenario und kündigte den nahen Weltuntergang an.
Es folgte entsprechende Irritation – sowohl vor Ort in Harrington Hall als auch bei den Zuhörer*innen an den Radiogeräten zuhause. Das Sicherheitsteam um die Premier reagierte allerdings sofort und leitete unmittelbar eine Untersuchung ein. Ein PR-Team wandte sich an die verunsicherten Hörer*innen. Die Entwarnung in der Causa bevorstehender Weltuntergang kam ebenso schnell. Nicht aber die Aufklärung über die tatsächlichen Hintergründe. Ein Anschlag, nur so viel stand lange fest.
In der heutigen Pressekonferenz kam nun endlich der Stab der derzeitigen Ermittlungsgruppe zusammen. Zu Beginn lobten die Ermittler*innen wiederholt die Umsicht und gute Arbeit der Einsatzkräfte vor Ort im Dezember 86. Sie hatten maßgeblich dazu beigetragen, dass aus der Situation keine landesweite Panik entstanden ist.
Die Ermittlungen in Harrington Hall liefen recht schnell in Richtung “Mystischer Terrorismus”, so wird berichtet. Die Bewegung der Mystiker*innen erfreut sich seit einigen Jahren regen Zulaufs, was ganz aktuell dem irischen Konflikt, der schon seit Jahrzehnten schwelt, zunehmend neues Feuer verleiht. Das Wachsen von unkonventionell-magischen Strömungen ist aber längst kein rein irisches Problem mehr.
Auch das betonten die Ermittler*innen noch einmal. Das beunruhigende Phänomen scheine inspiriert von der gerade in Afrika erstarkenden “New Old Magic”-Bewegung.
Beide Strömungen – die irische und die internationale – haben gemein, dass sie unkonventionelle Magiepraktiken argumentieren und die Weltentrennung offen in Frage stellen. Sie stehen also all dem entgegen, was unsere souveräne magische Gesellschaft ausmacht.
Vor diesem Hintergrund leitete Premier Bail noch am Vorabend des Wahltags einen umfassenden Zugriff auf Anhänger*innen der Mystik in ganz Magic Britain ein. Bei landesweiten Razzien kam es zu zahlreichen Verhaftungen.
Dieser massive Schritt sei nötig gewesen, um dem wachsenden Problem des irisch-mystischen Terrors Herr zu werden, so die offizielle Begründung. “Wenn notwendig, dann maximal aus wahl-strategischen Gründen. Sonst nichts!”, unkte Freedom Front-Sprecherin Walsingham noch im April ‘87 leicht verbittert über die Ereignisse.
Für Bails Preservation Party hat sich das Manöver im Endspurt des Wahlkampfs zumindest ausgezahlt. Und zwar mit durchschlagendem Erfolg, wie meine Kollegin Meredith R. Hewitt hier treffend analysiert hat.
Die Ermittler*innengruppe gab nach kurzer Zusammenfassung der Ereignisse einen ersten Überblick zu den bisherigen Festnahmen und welche davon sie bisher in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Anschlag auf Premier Imogen Bail werten.
Die Hauptverdächtigen gehören dabei zu einer Gruppe, die schon am frühen Morgen des Wahltages in unmittelbarer Nähe des Tatorts Harrington Hall aufgegriffen und festgesetzt wurde. Nach heutigem Ermittlungsstand ist davon auszugehen, dass diese Näherung an den Aufenthaltsort der Premier und den Ort der Ereignisse rund um die Electoral Speech 1986 in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen.
Bei dem verdächtigen Personenkreis handelt es sich um eine Gruppe irischer Mystiker*innen. Teile davon konnten bisher – so Insiderinformationen, die dem Observer exklusiv vorliegen – als dem berühmt-berüchtigten Mystiker-Clans der Akrutats angehörig identifiziert werden. Die Verdächtigen befinden sich nach wie vor in Untersuchungshaft, einen Gerichtstermin gibt es noch nicht.
Der irische Familienclan lebt ganz bewusst und fast über-inszeniert seine mystischen Wurzeln aus, so Clan-Expertin Becs Marshall. Sie stünden daher schon eine Weile unter intensiver staatlicher Beobachtung. Jahr für Jahr führen die Akrutats demnach die Kriminalstatistik der magischen Clans an.
Die Verdächtigen hielten sich außerdem schon im Vorfeld des Wahltages im Forest of Bowland auf. Der District 1, in dem sich auch Harrington Hall und damit die Akademie befinden.
Die Gruppe sei wohl, so die Ermittler*innen, speziell zu den sogenannten “Tagen der Ankunft” in den District 1 gereist: Ein mystisches Fest, dessen tatsächliche Hintergründe als umstritten gelten. Auch in der Mystikerszene selbst, versicherte uns später Wächter Cooper Saunders aus dem Ermittlungsstab, der mehr als 50-köpfigen, grenzübergreifenden Sonderermittlungseinheit.
Auch die als mystisch bekannte Zahlenkombinationen (“12+3+1”) wurde im Zeitraum vom 6. bis zum 8. Dezember 1986 vermehrt in Harrington und Umgebung an die Behörden gemeldet. Zufall? Die Ermittelnden denken nicht. “Details können wir aufgrund der noch nicht abgeschlossenen Ermittlungen jedoch an dieser Stelle nicht nennen”, so Edith Blight, ebenfalls Teil des Krisenstabs.
Zeichen einer Prophezeiung nicht erfüllt
Im zweiten Block der Veranstaltung schlossen die Ermittler*innen weiterhin mit absoluter Sicherheit aus, dass es sich bei Bails Worten um eine echte Prophezeiung gehandelt haben könnte.
Oswin Cook, Vorsitzender des Verbands unabhängiger Wahrsager*innen, unterstützt die Ermittlungsgruppe als Sachverständiger. Echte Prophezeiungen, so Cook, seien sehr, sehr selten und könnten nur von entsprechend ausgebildeten Magier*innen getroffen werden. “Unsere Premier ist allerdings bisher eher weniger durch seherische Kräfte aufgefallen”, wagte sich Cook im Verlauf seiner Ausführungen sogar zu scherzen. Weiterhin verwies der Experte für Wahrsagerei noch einmal eindringlich auf den Fortune Telling Act und seine Statute § 1, zu den “Fünf Zeichen echter Prophezeiung”.
Der Fortune Telling Act klärt seit Mitte des 19 Jahrhunderts die rechtlichen Formen der Wahrsagerei. Dabei handelt es sich vermutlich um einen den kontroversesten Teile des Magiekanons – gleich nach dem Petersilienparagrafen natürlich.
Die fünf Zeichen, so Cook, seien hier nicht ausreichend erfüllt gewesen. Weder habe sich Stimme, Dialekt oder Aussprache nachhaltig genug verändert, noch sei Premier Bail durch stark abweichende Gestik und Mimik aufgefallen. Eine Prophezeiung breche sich fast ausschließlich in routinehaften Handlungen Bahn, was hier ebenfalls nicht zutreffe. Vor allem aber litt Bail allen Zeug*innen nach nicht an der sogenannten postprophetischen Amnesie – das stärkste und wichtigste Zeichen.
So gut es sich anfühlt, endlich handfeste Erklärungen zu haben – und die Erleichterung war in einigen Gesichtern der Journalist*innen deutlich zu erkennen – so wenig befriedigend waren die Antworten der Sondereinheit. Das spiegelte sich auch in den zahlreichen Nachfragen wieder, die die Ermittler*innen nur unwillig beantworten wollten:
Wie konnten Terrorist*innen ausgerechnet in Harrington Hall scheinbar ungehindert agieren? Was ist an den Gerüchten dran, dass es noch am Abend vor der Wahl zu einem ernsten Störfall an der Akademie selbst gekommen sein soll?
Akademieleiter Kenneth E. Peacock, der ebenfalls neben dem Einsatzstab an den Mikros saß, hatte leider auch nur ein charmantes Lächeln und eine einfache Botschaft in vielen Worten parat: Den Ausführungen der akribisch arbeitenden Ermittlungseinheit sei nichts weiter hinzuzufügen.
Auch zur Frage, ob der Zauber hinter der angeblichen Prophezeiung schon identifiziert und dekonstruiert sei, wollte aus ermittlungstaktischen Gründen keiner Stellung beziehen. Bisher sei lediglich davon auszugehen, dass Bail direkt per Zauber angegriffen worden sei. Ob per Mentalmagie oder Ritual, aktiv oder reflexiv, mit konventioneller oder unkonventioneller Magie sei alles noch reine Spekulation.
Ein derart mächtiger Zauber hinterlässt allerdings Spuren, so der aktuelle Stand der Wissenschaft. Oder genauer formuliert, der sogenannten Magischen Forensik. Eine noch junge Disziplin, die ihren einzigen britischen Lehrstuhl übrigens an keinem geringeren Ort als Harrington Hall hat. Professor Sinéad O’Sullivan doziert selbst an der Broughton Academy und wartet quasi auf ihren Einsatzbefehl. Doch der ist bisher ausgeblieben. Nicht nur zu ihrer lautstark kommunizierten Verwunderung.
Also, viel Raum für Kritik.
Die gibt übrigens auch für die ungewöhnlich lange Ermittlungszeit. Die Verdächtigen sitzen noch immer in Untersuchungshaft, eine baldige Anklage ist nicht in Sicht.
Ja, wieso eigentlich immer noch nicht? Genau das brachte eine Vertreterin der Rufus-Welling-Stiftung mit reichlich Nachdruck zur Sprache – und zwar direkt aus dem Publikum heraus: Die Verdächtigen seien bis heute ohne juristischen Beistand, selbst der Stiftung sei jedweder Kontakt bisher untersagt worden.
Legitimiert sei diese Maßnahme jedoch, so Saunders, über einen kleinen, aber feinen Paragraphen in unserem Rechtssystem, der immer dann Ausnahmen vorsehe, wenn unmittelbare Gefahr für Weltentrennung und die Ordnung der souveränen Magischen Gesellschaft vermutet werden. Saunders offenbart mit Preisgabe dieser juristischen Feinheit allerdings auch die besorgniserregende Einschätzung unserer Regierung zur aktuellen Bedrohungslage.
Die anwesenden Vertreter*innen der Wellington Stiftung nutzen die Veranstaltung schließlich mit bemerkenswerter Militanz für ihre eigenen Zwecke.
Der in ihrem Selbstverständnis progressiven pro-irischen Exceptioner-Organisation wird zuletzt immer wieder eine gewisse Nähe zur ebenfalls mystiker- und irlandfreundlichen Freedom Front nachgesagt. Auch heute nutzten sie die Bühne gekonnt und unterstellten der Bail-Regierung ganz unverblümt politisches Kalkül. Geht es hier also nur um das Konstruieren eines politischen Sündenbocks?
Die Verantwortlichen auf dem Podium sahen in der aufkommenden Unruhe einen willkommenen Anlass, die PK vorzeitig aufzulösen – ohne tiefergehend auf Verschwörungsvorwürfe jedweder Art einzugehen.
Wir bleiben zurück mit vielen offenen Fragen. Auch wenn unsere Welt noch nicht untergeht, so wird Magic Britain keine zehn Jahre nach den letzten großen Terrorwellen wieder von politisch motivierter Gewalt bedroht. “Nur dieses Mal von der anderen Seite”, fasst AWAW-Sprachrohr Clement Nigellus die Lage gewohnt klar zusammen. “Die Zeiten der politischen Balanceakte sind endgültig vorbei”, lautet auch die kämpferische Zusammenfassung von Premier Imogen Bail.
Lord Merrygold Jr. (Central Alliance) resümiert diesen Tag zumindest etwas defensiver und gibt auch unseren Leser*innen die bestmögliche Botschaft mit auf den Weg: “Lasst uns alarmiert, aber nicht unbesonnen mit diesen Nachrichten umgehen.”
Ermittlungen ohne magische Forensik. Verdächtige ohne Anwalt. Ein Prozess mit Petersilienparagraphen. Sind das neue Kurse an der Akademie? Da freu ich mich aber. Nicht.