Alle reden drüber, doch niemand weiß wirklich Bescheid. Norman Wolsey erklärt unserem Autoren die Wirkungsweise von Bocapin. Es ist nicht alles einfach – von den Nutzen und Gefahren des Gefängnismittels.
Seit dem Gogh-Fall in aller Munde: Bocapin. Nach jahrhundertelangem Einsatz steht es plötzlich in der Kritik. Zu Recht? Oder gibt es vielleicht gute Gründe, weswegen Bocapin das Mittel erster Wahl in unserem Strafsystem ist? Montgomery Bingham ist für uns auf Spurensuche gegangen.
Was kaum jemand weiß: Bocapin ist ein natürlich vorkommendes Alkaloid. Alkaloide sind Produkte des Sekundärstoffwechsels und wirken charakteristisch auf den tierischen und menschlichen Organismus. Sie werden für den Grundstoffwechsel der sie bildenden Organismen nicht benötigt, sondern dienen häufig als Schutz vor Fressfeinden.
Bocapin kommt in der Sommer-Berberitze (Berberis aestivum L.) vor. Sie ist eine Unterart des Sauerdorns (Berberis vulgaris L.) und überwiegend in Europa und Vorderasien beheimatet, inzwischen auch in Nordamerika eingebürgert. Dadurch ist auch das Haupteinsatzgebiet des Bocapins in Eurasien, während in Afrika und Amerika andere Mittel zum Einsatz kommen.
Norman Wolsey, Spezialist für Magische Neurologie im Nightingale Institute for Neuromagical Treatment, erklärt uns die Wirkungsweise: “Bocapin dient zur Hemmung magiespezifischer Muskarinrezeptoren, die im parasympathischen Nervensystem vorkommen und als Substrat den Neurotransmitter Acetylcholin binden, aber auch von Muskarin aktiviert werden können. Die Signalübermittlung wird blockiert.” Einfach gesagt: Durch die Fremdbesetzung der Bindestelle ist die Reizweiterleitung gestoppt und die Magiewirkung kann sich nicht entfalten.
Für die Festnahme von magischen Menschen ist das wichtig, denn nur so kann die Sicherheit von der Belegschaft in Gefängnissen gewährleistet werden. Ohne den Einsatz von Bocapin gäbe es zahlreiche Angriffe und Ausbruchsversuche im hiesigen Bridgewater Prison, ähnlich wie zuletzt in Córdoba, Argentinien, wo bei einem Ausbruchsversuch sieben Menschen starben. Ein Grund, weshalb Bocapin in Magic Britain umgehend verabreicht wird, auch in der Untersuchungshaft.
Wolsey gibt zu, Bocapin bewirkt als Psychostimulans ein Suchtverhalten. Aber: Bei korrekter Dosierung unter strenger medizinischer Überwachung sei eine normale Aktivität möglich.
Welche Kritik gibt es an diesem effektiven, aber doch sehr harten System? Es gibt keine vernünftigen Studien zum langfristigen Einsatz von Bocapin. Und es gibt Risiken. Auch für Leute, die am Ende vielleicht wieder freigesprochen werden. Denn es kann langfristig die Magiefähigkeit beeinflussen. Zum einen durch Nebeneffekte des Suchtfaktors wie zum Beispiel Konzentrationsstörungen und Probleme des Visualisierens, zum anderen wird neuerdings darüber spekuliert, ob es zu einer dauerhaften Änderung des Magiepotentials kommen könnte, da Blocker die Reizübertragung solange stören bis sich die Ausschüttung der Neurotransmitter reduziert und die Energiebereitstellung vermindert wird. Wolsey möchte das nicht bestätigen. Auch nicht die Häufung von Einzelfällen, die so abhängig sind, dass sie nicht mehr ohne Bocapin leben können.
“Was ich sagen kann, ist, dass die Gabe von Bocapin bei einer schwangeren Person starken Einfluss auf das ungeborene Kind hat. Föten haben keine Überlebenschance, sofern sie nicht die 30. Schwangerschaftswoche erreicht haben.”
Wir bewegen uns also in einem rechtlichen Dilemma: die magischen Möglichkeiten der werdenden Mutter versus das Recht auf Leben. Gerade weil analog zur 1st World auch bei uns gilt, nicht schuldig bis die Schuld bewiesen wird. Umso verwunderlicher ist es, dass im Fall der Harrington Four der Verhandlungstermin im Januar 1989 angesetzt wurde. Überraschend deswegen, da bei der Überlastung der Justiz niemand mit einem Termin vor Sommer gerechnet hat und so das Kind gefahrlos zur Welt kommen würde. Bei einem Schuldspruch im Januar droht nun aber die Zwangsabtreibung. Der bittere Beigeschmack, der bleibt, kommt nicht nur durch das Alkaloid.